Liebe, Lust und Latex!  - Leseprobe

„Ding-Dong!“

„Miss Spencer, bitte an Kasse vier! Miss Spencer, bitte an Kasse vier! Ein Storno!“, krächzte es durch den Lautsprecher, bevor die unterschwellige Verkaufsmusik wieder einsetzte.

Die vordere der beiden, in dichtem Abstand hintereinander durch die Regalreihen des Baumarkts eilenden Personen zuckte zusammen und blieb stehen.

Ein erregendes Kribbeln zog dem Mann durch den Unterleib. Nervös drehte er sich zu seiner Begleiterin um. Erst als er von dieser ein aufforderndes Kopfnicken erhielt, setzte er den Weg fort. Der Mann zwang sich zur Beherrschung, versuchte an etwas anderes zu denken als an das, was ihm in einigen Minuten bevorstehen würde. Erst als er sich den am kommenden Sonntag beim Gottesdienst zu haltenden Predigttext in Erinnerung rief, beruhigte er sich wieder ein wenig.

Pastor Samuel Fletcher, die vordere der beiden Personen, hatte sich vorgenommen, im nächsten Gottesdienst eine Stelle aus dem Korintherbrief des heiligen Paulus zu thematisieren. Im Gedanken zitierte er einen der Kernsätze aus seiner Predigt:

 

„Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe!“

 

Ein erneutes „Ding-Dong“  und ein darauf folgendes Krächzen unterbrach abermals die leise Hintergrundmusik:

„Mister Sanders! Bitte zum Infostand der Sanitärabteilung! Mister Sanders! Bitte zum Infostand der Sanitärabteilung!“

 

Hinter der nächsten Regalecke müssten sich die Werkzeuge befinden, versuchte sich Samuel Fletcher an seinen letzten Besuch in diesem Baumarkt zu erinnern, und hörte kurze Zeit später eine zischende Stimme hinter sich:

„Du nimmst die fünf Zoll Kneifzange aus Spezial-Werkzeugstahl und poliertem Kopf! Daneben liegt eine Kombizange von demselben Hersteller. Die mit dem roten Isoliergriff! Siehst du sie?“

Samuel nickte und wagte aus dem Augenwinkel einen Blick nach hinten.

„Die Zange nimmst du ebenfalls!“, befahl die Frau hinter ihm, deren langer, geschlossener Trenchcoat fast den gesamten Körper verdeckte. Den Hut hatte sie so tief ins Gesicht gezogen, dass man unter der breiten Krempe gerade noch die roten, sinnlich geschwungenen Lippen zu erkennen vermochte. Zwei wohl geformte und von hauchdünnen Nylonstrümpfen umhüllte Waden ließen vermuten, dass sich unter dem Mantel eine Frau von zarter, aber auch sehr sportlicher Figur befinden musste. Hart schlugen die Absätze ihrer roten Pumps auf den mit glänzendem Klarlack beschichteten Betonboden.

„Ding-Dong!“

„Unser Tagesangebot: MiniFlex – nahtlos gearbeitete Arbeitshandschuhe mit patentierter Mithril-Mikroschaumbeschichtung. Waschbar bis vierzig Grad. Heute nur drei Pfund Fünfundfünfzig!“, erklang erneut die ruhige, vertrauenerweckende Frauenstimme durch den Lautsprecher.

Die zittrige Hand des Mannes griff sich rasch die beiden geforderten Zangen aus dem Verkaufsregal. Argwöhnisch sah er sich noch einmal um. Er schluckte und schloss für eine Sekunde die Augen, so, als wolle er nicht sehen, was nun geschehen würde. Er trat noch einen Schritt näher an das Verkaufsregal heran und ließ die beiden Werkzeuge in einer schnellen Bewegung in seiner Tasche verschwinden.

Nochmals blickte er sich prüfend um.

Offenbar hatte niemand etwas mitbekommen.

„Ruhig bleiben! Außerdem sollst du dich nicht so oft umsehen! Das macht dich nur verdächtig!“, zischte es von hinten.

„Herrin, es … es fällt dem unwürdigen Sklaven so schwer, die …“

„Du machst das, was ich dir gesagt habe! Hast du ein schlechtes Gewissen oder Angst, brechen wir die Sache sofort ab. Dann gehe ich und du wirst mich nie wiedersehen! Möchtest du das wirklich?“

„Nein, das möchte ich nicht, Herrin!“, platzte es aus Samuel heraus.

„Dann mach genau das, was ich dir gesagt habe!“

Nach diesen Worten schob er sich die Nickelbrille nach oben. Das machte er immer intuitiv, wenn er aufgewühlt war. Die Angst vor Entdeckung wurde nun von einer neuen, weitaus größeren Sorge überlagert: die Furcht, bei der Herrin so sehr in Misskredit zu geraten, dass sie sich für immer von ihr abwenden könnte. Das durfte nicht geschehen. Niemals! Wie lange, mit welch Mühen und Opfer hatte er auf all das hingearbeitet, sich mit Geschenken, Geld und Aufmerksamkeiten, aber auch mit viel körperlichem und seelischem Schmerz ihr Wohlwollen erkauft! Sogar ihre komplizierte, japanische Muttersprache hatte er sich ansatzweise angeeignet, um ein wenig mehr von ihrer kostbaren Gunst zu erhaschen.

 „Hai, aijin!  Junjo o arigato!“, versuchte er radebrechend einen Dank für den Befehl der Herrin herauszubringen.

Auf den roten Lippen der Begleiterin bildete sich nun tatsächlich ein Lächeln, das er zu gerne als „Zuneigung“ interpretierte. Innerlich fiel ihm ein riesiger Stein vom Herzen.

Ein Schauer der Ergriffenheit lief ihm über den Rücken.

 

Zeitlebens war Samuel ein Suchender gewesen, hatte dabei früh seinen Glauben an Gott gefunden, der es in beruflicher Hinsicht zunächst sehr gut mit ihm meinte: Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Theologiestudium folgten zehn Berufsjahre als Assistent Pastor in einer kleinen Kirchengemeinde in der Nähe von Bradford, danach fünf Jahre Gemeindearbeit als Parish Pastor in Südengland. Doch was nach außen so aussichtsreich erschien, hatte über die Jahre tiefe Spuren in ihm hinterlassen. Ein Pastor, der vor gut zwei Jahren einer von der Abschiebung bedrohten Familie eigenmächtig Kirchenasyl gewährt hatte, war in einflussreichen Kreisen der Kirchengemeinschaft nicht gerne gesehen, wie er schmerzlich erfahren musste. Seiner menschlichen Geste folgte die Ausgrenzung innerhalb der Priesterschaft. Drohbriefe, Beleidigungen und obszöne Anrufe hatten ihn zermürbt und hässliche Narben im Inneren seiner äußerlich scheinbar intakten Fassade hinterlassen. Was hatte ihm die Karriere außer schlaflosen Nächten, einem Burnout und einem Tinnitus eingebracht? Und vor allem: Was geschähe, wenn man eines Tages erfahren würde, dass er starke masochistische Neigungen besaß, sexuelle Lust am Schmerz empfand und regelmäßig eine japanische Domina besuchte?

Die Wege des Herrn sind unergründlich: In Seiyoua, einer Herrin aus dem Hause Black Swan Manor hatte er mittlerweile eine echte seelische Stütze gefunden. Was anfänglich nur als ein heimlicher, einmaliger Besuch gedacht war, entwickelte sich schließlich zu einer festen Sklaven-Herrin-Beziehung, die ihm die nötige Kraft gab, die an ihn gestellten Ansprüche innerhalb der Kirchengemeinde zu erfüllen.

 

 „Also weiter jetzt! Den Rest machst du alleine! Zuerst begibst du dich zu den Eisenwaren! Ich will, dass du dir die längsten und dicksten Nägel, die du dort finden kannst, einsteckst! Am besten nimmst du solche, die von den Zimmermännern für Dachstühle benutzt werden. Mindestens zehn will ich davon haben! Danach besorgst du mir schwarze Einmalhandschuhe in der Größe „S“, einen guten Teppichcutter, eine Tube Vaseline, eine Rolle Paketklebeband und eine Packung mit Gardinenklammern! Damit es nicht auffällt, lässt du dir danach von einem Mitarbeiter noch zehn Meter rotes Nylonseil von einer Seilrolle abschneiden. Das Seil und die Rolle Paketband sind die einzigen Artikel, die ich dir zu bezahlen erlaube! Sie sind zu groß, um sie hier unauffällig herauszuschmuggeln! Beeile dich! Ich warte im Auto auf dich. Dort treffen wir uns.“

Samuels Herz raste vor Aufregung.

Du sollst nicht stehlen!

Samuel war nun mehr als jemals zuvor dazu bereit, das siebte Gebot für seine wahre Herrin zu brechen. Ihr Wille stand über allem, verinnerlichte er sich um ein weiteres Mal.

„Herrin, ich bin so dankbar für das Vertrauen, das Sie in mich setzen! Ich werde Sie gewiss nicht enttäuschen!“, antwortete der Geistliche, atmete einmal tief durch und wollte sich gerade eilig in Richtung der Eisenwarenabteilung bewegen, als er eine Hand an der Schulter spürte.

Abrupt stoppte er.

„Vorsicht! Du bewegst dich gefälligst langsam und würdevoll! Denk daran, dass du keinen Slip unter dem Talar trägst! Willst du etwa, dass dir beim Laufen der Plug aus dem Arsch flutscht? Dein Aufzug ist schon auffällig genug.“

Wieder zog es durch seinen Unterleib. Unwillkürlich presste er die Knie zusammen und bemerkte dabei, dass sich sein Penis mit Blut füllte.

„Ding-Dong!“

„Eine Wichtige Durchsage an Mister Sanders! Bitte dringend zum Informationsstand in der Sanitärabteilung. Ich wiederhole: Mister Sanders! Bitte dringend zum Informationsstand in der Sanitärabteilung!“

 

***

 

„Ich halte diesen Zustand der dauerhaften Erregtheit nicht mehr lange aus“, dachte sich Samuel und seufzte, als er sich hinter das Steuer seines alten Vauxhall Cresta setzte. Umständlich befreite er sich von seiner Umhängetasche mit dem Diebesgut und legte sie auf den Rücksitz. Er war vor Aufregung derart durchgeschwitzt, dass der schwarze Talar an seinem Oberkörper förmlich klebte. Er nahm sich ein gebrauchtes Papiertaschentuch aus der Türablage des Autos, wischte sich den Schweiß von der Stirn, drehte den Zündschlüssel und fuhr vom Parkplatz des Baumarkts. Auf der Landstraße, die nach Norden in Richtung Black Swan Manor führte, kurbelte er die Seitenscheibe nach unten und genoss den frischen Fahrtwind.

„Schön entspannt bleiben! Keinen Laut will ich von dir hören, und weiter auf die Straße achten!“, zischte eine Stimme von der Rücksitzbank. Im selben Moment legte sich eine Hand um seinen Hals. Dann spürte er etwas Kühles.

„Es ist das Teppichmesser, das du in deinem kriecherischen Streben nach meiner Aufmerksamkeit soeben gestohlen hast!“

Die kühle und erbarmungslose Stimme von Herrin Seiyoua ließ ihn lustvoll aufstöhnen. Plötzlich war ihm wieder richtig heiß, vor allem im Unterleib. Eine prickelnde Vorahnung quälte ihn. Würde sich die Herrin seines Körpers und Geistes annehmen, ihn gleich dazu zwingen, weitere Grenzen seiner Moral zu übertreten? Oder würde sie stattdessen über ihn herfallen und ihn mit einem Strapon brutal missbrauchen?

Im ersten Moment spielte er mit dem Gedanken, der Herrin mehr Geld anzubieten. Vielleicht überzeugte es sie, auch die Zangen zu benutzen? Bei dieser Fantasie neigte er ihren Kopf ein wenig mehr zur Seite, um sich noch verletzlicher gegenüber der tödlichen Klinge an seiner Kehle zu zeigen. Dann spürte er einen warmen Atem am linken Ohr, vernahm gleichzeitig den Geruch eines betörenden Parfüms.

Bulgari.

Das wusste er, schließlich hatte er es der Herrin gekauft, was die Aufgeregtheit in ihm noch mehr ansteigen ließ.

„Siehst du den Feldweg dort hinten auf der linken Seite?“

„Jawohl, Herrin! Ich sehe ihn!“

„Langsamer werden und darin einbiegen! Wir fahren heute nicht nach Black Swan Manor!“

Er nahm den Fuß vom Gas und bremste langsam ab, setzte dann den Blinker nach links und las auf einem verwitterten Wegweiser die Worte: Black Swan Chapel – 4 miles

 

Im Schritttempo fuhr der Wagen über den holprigen, nur aus zwei ausgefahrenen Spuren bestehenden Feldweg, der in sanften Windungen über ein hügeliges und baumloses Gras- und Heideland führte. Jede kleine Erhebung und jedes Loch schüttelte die alte Limousine durch, ließ das tödliche Messer immer wieder aufs Neue an seinem nackten Hals kratzen.

Samuel atmete tief durch. Er genoss diese Hilflosigkeit, das prickelnde Gefühl seiner Verwundbarkeit.

Als der Wagen nach einer schier endlosen Fahrt auf eine halb zerfallene und mitten in einer Ansammlung uralter Eichen gelegene Kapelle zusteuerte, schossen ihm vor erregter Ergriffenheit die Tränen in die Augen.

 

„Hier sollst du geläutert werden, du elender Sünder! Raus aus dem Auto! Aussteigen!“, hörte er ein wütendes Flüstern nah an seinem Ohr.

Als sie ihn aufforderte, auf die Kapelle zuzugehen, zögerte er keine Sekunde. Halb ging er, halb stolperte er, geführt von einem Strick um den Hals, auf das kleine Bethaus zu, dessen verwitterte, zweiflügelige Eingangstür sich wie von Geisterhand vor ihm öffnete.

„Eintreten!“, zischte es von hinten.

 

***

 

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne drangen durch die kleinen Fenster in den Gebetsraum hinein, vermischten sich dort mit dem Flackern der zahllosen Kerzen zu einem diffusen, ja sakralen Licht, das Samuel ein Schaudern über den Rücken rieseln ließ.

Als er einen Stoß gegen seine Schulter spürte, ging er ganz langsam, Schritt für Schritt vorwärts. Er passierte einige aus Holz gearbeitete Bankreihen und blieb schließlich vor dem Altarbereich, dessen Kreuz seltsamerweise mit einem schwarzen Tuch verhüllt war, stehen. Der Schauer war einem Zittern gewichen. Samuels gesamter Körper schien jetzt zu beben. Und gerade als er sich nach hinten zur Herrin drehen wollte, wurde er gewaltsam nach unten gedrückt.

„Das Gesicht auf den Boden!“

Wieder kam er dem Befehl sofort nach. Voller Inbrunst drückte er das Gesicht auf den kühlen Steinboden des Mittelgangs und schloss die Augen. Nicht den Zorn der Herrin heraufbeschwören, ging es ihr durch den Kopf. Kurz darauf vernahm er ihre ruhigen Worte:

„Es sei dir noch ein letztes Mal erlaubt, zu mir aufzuschauen!“

 

Herrin Seiyoua stand jetzt genau vor ihm. Sie hatte den Trenchcoat abgelegt und präsentierte das, was sie auch im Baumarkt darunter getragen hatte, und das war außer einem schwarzen BH, Slip, Strumpfhalter und Nylonstrümpfen − nichts. Einmal mehr offenbarte sie so, über welch einen anmutigen, ja göttlichen Körper sie verfügte.

Samuel war dankbar für diesen Anblick und zitterte am ganzen Leib. Ungeduld, aber auch ein wenig Angst vor dem allzu bald Kommenden beherrschten sein Denken. Als Seiyoua sich zu ihm nach unten beugte und er kurz darauf ihre Hand unter dem Kinn spürte, war es ihm, als würde er in einen Berg aus Federn fallen. Treu ergeben blickte er die Herrin an. In ihren Händen fühlte er sich sicher und geborgen. Er wusste, dass er noch hier und heute den heiligen Schmerz aus den Händen der Gebieterin empfangen würde und war dankbar dafür. Er neigte seinen Kopf nach vorn, Seiyouas Fingern entgegen und küsste diese innig, konnte sich dann aber plötzlich nicht mehr zurückhalten.

„Worauf warten Sie, Gebieterin? Benutzen Sie mich! Bestrafen Sie mich!“, stieß er flehentlich heraus.

„Bist du dir wirklich sicher, die Läuterung deiner verdorbenen Seele aus der Hand der Herrin zu empfangen?“, kam die Antwort.

„Ja, Herrin, das bin ich!“, schrie er aufrichtig in den Raum hinein.

„Erst, wenn der Schmerz am größten, die Demütigung am unerträglichsten ist, wirst du dem Schwarzen Schwan begegnen, dem Symbol grausamer, aber auch sinnlicher Weiblichkeit! Nur er wird dir die sinnlichen Energien für dein künftiges Leben schenken und dein Seelenheil retten.“

„Ja, ich möchte dem Schwarzen Schwan begegnen und vom Quell seiner Kraft kosten.“

„Du wirst schon bald deinem alten Gott abschwören!“

„Auch dazu bin ich bereit!“, sagte er und sah, dass die Herrin das Paketband und das Teppichmesser in der Hand hielt.

Mit einer gekonnten Bewegung schnitt sie ein Stück Klebeband von der Rolle.

„Mund zu! Einatmen und Luft anhalten!“

Samuel nickte entschlossen. Mit jedem Stück von diesem Band auf dem Mund legte er nun ein wenig mehr Verantwortung über seinen Körper und seine Seele in die Hände der Herrin, die ihn zum Schluss mit einem der Nägel ein kleines Loch in das Klebeband stach. Erleichtert atmete er aus, sog begierig frische Luft ein und füllte damit seine Lungen.

Er freute sich darauf, schon bald neue spirituelle Erfahrungen erleben zu können.

Als ihm einen Moment später etwas über den Kopf gezogen wurde, war er in eine undurchdringliche Dunkelheit gehüllt.

 

***

 

Stille!

Es war still. So vollkommen still wie die samtschwarze Düsternis, in die alles getaucht war. Wie viel Zeit war vergangen, seit man ihm diese dicke, schwarze Stoffhaube über den Kopf gezogen und ihn dann fixiert hatte, fragte er sich. Er verlagerte das Gewicht nach hinten, um den Zug der Seile an seinen Handgelenken und den Schmerz in seinen Schultergelenken ein wenig zu mildern. In dieser Schwärze wurden die Sekunden zu Minuten, die Minuten zu Stunden. Sein Atem ging schwer, und trotz des Stoffs vor seinem Gesicht vernahm er noch immer den leichten Geruch von Moder, der die ganze Zeit über in der Luft des Gebetsraums lag.

Fragen über Fragen schossen ihm durch den Kopf. Was würde mit ihm geschehen? Vor allem beschäftigte ihn die Frage, wo die Herrin geblieben war. Das letzte, was er von ihr vernommen hatte, war das immer leiser werdende Aufschlagen ihrer Absätze auf dem Steinboden der Kapelle. War die Herrin da tatsächlich noch alleine gewesen? Hatte sie nicht mit jemandem geflüstert? Samuel konnte es trotz aller Anstrengung nicht mehr sagen. Zu beunruhigt, verwirrt, ja starr vor der erdrückenden Ungewissheit war er gewesen.

Was hatte man mit ihm vor?

Seine erzwungene Körperhaltung musste für einen zufälligen Beobachter ziemlich grotesk aussehen. Auf dem Boden kniend, den aufgerichteten Oberkörper nach vorne zum Altar gebeugt und die Arme nach links und rechts ausgestreckt. Dass sein Oberkörper nicht ganz nach vorn fiel, dafür sorgten die Seile an den Handgelenken, deren andere Enden irgendwo an den Seitenwänden festgebunden sein mussten. Oder waren die Seile mit der Decke der alten Kapelle verbunden? Vielleicht auch mit einer Kirchenbank? Oder gar dem Kreuz? Wie ein Sünder, der seinen Bußgang machte, sah er aus. Eine alte Illustration des heiligen Büßers Sankt Dominicus Loricatus, der seine Ordenstracht siebenmal am Tag für eine Geißelung abnahm, kam ihm in den Sinn. Sankt Dominicus Loricatus war der Verehrung der seligen Mutter Maria und der Läuterung durch körperlichen Schmerz ganz besonders zugetan gewesen …

 

Seine Gedanken wanderten wieder zurück zu seiner göttlichen Herrin Seiyoua. Wo befand sie sich? Wann würde sie zurückkehren? Er fühlte sich plötzlich einsam, ohne ihren Schutz, ohne ihre Obhut. Bitte, Herrin, bitte kommen Sie zu mir zurück!

Dann durchbrach etwas die Stille.

Irgendwo knarrte eine Tür. Wieder ein kurzes Tuscheln.

Woher kamen diese Stimmen?

Kurz darauf ein Geräusch, als würden Stuhlbeine auf einem Steinboden kratzen. Als von irgendwoher ein Luftzug kam, der kühl über die Haut unter dem noch immer vom Schweiß feuchten Talar strich, hielt Samuel es nicht mehr aus. Nach der Herrin flehend wand er sich in den Seilen, presste die Schenkel zusammen und spannte die Muskeln im Po an, damit sich der Druck der Plugs in seinem Anus verstärkte. Seine latente Erregung war unerträglich geworden. Wann durfte er endlich den heiligen Schmerz empfangen?

 „Du wirst schon bald durch das reinigende Feuer des Schmerzes gehen, um als wahrer Gläubiger wiedergeboren zu werden! Noch heute wirst du dich in blasphemischer Weise von deinem Herren abwenden, um auf alle Ewigkeit ein Diener des Schwarzen Schwans zu werden! Doch dazu muss ich dich vorbereiten!“, durchbrach die kühle Stimme der Herrin die Stille. Kurz darauf spürte er eine Hand am Stoff seiner Priestertracht, hörte dann ein Reißen, als würde sich der Stoff unter dem Schnitt eines scharfen Messer teilen.

Die Herrin hatte ihm den Talar mit einem Schnitt des Teppichmessers vom Körper gelöst.

Bis auf den Stoffbeutel über dem Kopf und bis auf seine Schuhe war er jetzt vollkommen nackt.

 

***

 

Nur den Bruchteil einer Sekunde nach dem ersten Schlag kam der Schmerz. Dann folgten in rasend schneller Folge weitere Hiebe auf den Rücken. Samuel gab ein grunzendes Geräusch von sich und riss den Kopf nach hinten. Vergeblich versuchte er, den brennenden Schmerz aus sich herauszuschreien.

„Auch wenn du schreien könntest, du armer Sünder: Hier kann dich niemand hören! Und dein Gott wird nicht kommen, um dir zu helfen und dich vom Schmerz meiner Folter zu erlösen!“

Kurz nach diesen Worten wurde ihm der Kopf zur Seite gerissen, nach links, nach rechts und wieder nach links. Die Wangen brannten unter dem feuchten Stoff der Kopfhaube. Die Herrin hatte mit der flachen Hand zugeschlagen.

Dann setzte eine Zeitlang Stille ein. Wieder diese schreckliche Grabesstille.

Mehr Herrin! Bitte mehr davon!

Die Worte flehte Samuel innerlich in diese unerträgliche Ruhe hinein.

Bitte verlassen Sie mich nicht, Herrin!

Er fühlte sich entsetzlich einsam.

Bitte, Herrin, bitte, wo sind Sie?

Bitte …

Die Zeit verstrich quälend langsam.

 

***

 

Was würde mit ihm geschehen, überlegte Samuel, streckte dabei demonstrativ den nackten Po nach hinten.

Die Anweisungen der Herrin beim Vorgespräch am Tag zuvor waren ziemlich eindeutig gewesen: nur der Talar, die Scham rasiert und keinen Slip! Auch sollte der Anus mit einem aufpumpbaren Dildo gefüllt sein. Sein Loch solle schön geschmeidig sein, hatte die Herrin befohlen.

Ein qualvolles Stechen, zunächst an den Brustwarten und kurz darauf am Hodensack unterbrach seine Gedanken. Das mussten die Gardinenklammern sein, dröhnte es ihm durch den Kopf. Schon im Baumarkt waren ihm die spitzen Zahnkränze der Klammern aufgefallen, die sich nun in das Fleisch seiner empfindlichen, intimsten Körperpartien fraßen.

Tränen schossen ihm in die Augen. Ja, er war ein Büßer! Und er hatte so viel zu sühnen!

Du sollst nicht stehlen! Dieses heilige Gebot hatte er gebrochen, sich einer der Todsünden hingegeben. Schon beim Stehlen war dieses Gefühl der Wollust in ihm aufgekommen, hatte für ein erregendes Kribbeln in seinen Lenden gesorgt.

Dafür musste er, und dafür wollte er büßen.

Die erneut einsetzenden Schläge einer Reitgerte landeten auf seinem Hintern und hallten von den Wänden wieder. Kaum ein Körperteil wurde ausgelassen, Fußsohlen, Schultern, Bauch, Waden liefen nach und nach rot und blau an. Samuel zog krampfhaft die Muskeln im Unterleib zusammen, spürte den Plug noch stärker in sich. So unvermittelt der Sturm der Reitgerte über ihn hereingebrochen war, so abrupt brach er plötzlich ab. Wieder versuchte er, den Mund zu öffnen, atmete dabei stoßweise durch die Nase aus.

Nein, Herrin, bitte lassen Sie nicht ab von mir!

Der gesamte Körper schien nur noch aus zuckendem, schmerzendem Fleisch zu bestehen, doch wusste Samuel, dass er den Gipfel des Martyriums noch nicht erreicht hatte, wusste um ihr sadistisches Geschick mit den Zangen …

In diesem Moment wurde der Faden seiner Gedanken wie von einer Rasierklinge zerschnitten, steigerte sich seine Qual ins schier Unerträgliche.

 

Der Druck der Kneifzangen an Penis und Hoden warfen ihn erbarmungslos auf den Abgrund seiner Seele. Hinter seinen Augen blitzte es auf. Lichtkugeln tanzten über seine Netzhaut, verbanden sich und lösten sich wieder voneinander, um danach flirrend in der Dunkelheit zu verschwinden.

Kantiges Metall fraß sich in die gekräuselte Haut seines Hodensacks, quetschte seinen Hoden und Penis. Panisch versuchte er, einen Schrei auszustoßen, um sich wenigstens ein klein wenig Linderung zu verschaffen. Vergeblich! Das Klebeband machte es unmöglich, den Mund zu öffnen. Der Schmerz war in ihm gefangen wie ein tollwütiges Tier, das sich wieder und wieder gegen die Gitterstäbe warf, um aus dem Käfig des gefangenen Körpers zu entkommen.

Gedankenfetzen wirbelten wie ein Schneegestöber durch die Dunkelheit in seinem Kopf.

Wann würde sich ihm der Schwarze Schwan zeigen? Wann wäre er bereit für die Absolution? Der Schwarze Schwan! Er war von tiefstem Glück erfüllt, als er an die bevorstehende Begegnung mit diesem heiligen Wesen dachte. Hektisch zog er die Luft durch das kleine Atemloch vor dem Mund.

„Du bist bereit, um deiner neuen Göttin entgegenzutreten!“, hörte er die flüsternde Stimme der Herrin hinter sich.

Er antwortete mit einem hektischen Nicken. Hände glitten daraufhin zärtlich über seinen Rücken, über Hüfte und Lenden, hinterließen eine Spur aus Gänsehaut auf dem geschundenen Körper. Wie warm, ja liebkosend die Herrin sein konnte! Es zischte leise, der Druck im Unterleib verminderte sich. Dann glitt der Dildo aus ihm heraus.

Die Dunkelheit um ihn herum lichtete sich. Zuerst war es nur ein Spalt, durch den ein gelbliches Licht quoll, doch nach einer kurzen Weile öffnete dieser sich noch mehr – Stück für Stück, bis Samuel das unregelmäßige Bodenmuster der Steinfliesen unter sich erkannte.

„Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe!“, hörte er eine dumpfe Stimme vor sich, die seinen von Tränen verwässerten Blick nach vorne richten ließ. Samuel sah hohe Absätze, schwarze Stiefel aus glänzendem Lackleder, lange, schwarz glänzende Beine und Hüften, Taille und Brüste. 

Ein langes Keuchen, dass aus den Tiefen seiner Seele zu kommen schien, presste sich durch das kleine Loch im Klebeband vor dem Mund. Das Herz pochte ihm jetzt bis zum Hals.

 

Der Schwarze Schwan offenbarte sich als eine in Latex gehüllte Göttin der Lust.

Düster, erotisch, eine über allem stehende Entität der Weiblichkeit – feminine Erotik und Begierde in ihrer reinsten Form. Die beiden runden, verspiegelten Glasfenster der Gasmaske erwiderten seinen fiebrigen Blick, richteten die Aufmerksamkeit ganz auf ihn. Sicher blieb diesen großen, ausforschenden Augen nichts verborgen. Jede Seele war ihnen unwiederbringlich ausgeliefert, das wusste Samuel, und mit tiefster Überzeugung wollte er sich dieser Göttin nun hingeben.

Als dieses heilige Wesen die Schenkel ein wenig auseinanderschob und er den im Zentrum der göttlichen Lust steckenden Gummischlauch erkannte, da sprach eine dumpfe und unheimliche Stimme unter der Maske zu ihm:

„Empfange den goldenen Quell deiner Göttin und des Engels Pfahl in deinem Fleische!“

Samuel nickte unwillkürlich, streckte den Kopf so weit wie nur möglich nach vorne. Die Latexfinger des Schwarzen Schwans legten sich um das äußere Ende des Gummischlauches und schoben es durch das Loch im Klebeband tief in seinen Mundraum. 

Erwartungsvoll schloss er die Augen. In diesem Moment schob sich etwas metallisch Hartes und Kühles in seinen Anus.

Die gestohlene Vaseline und die Nägel! Es müssen mindestens sieben oder acht der langen Nägel sein.

Schlagartig wurde ihm der Zusammenhang der Ereignisse des Tages bewusst:

„Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe!“

In diesem Moment füllte sich der Mund mit dem goldenen Elixier der Latexgöttin.

Satans Engel trieb die eisernen Pfähle in sein Fleisch, während ihn die göttliche Erscheinung von der Kraft des Schwarzen Schwans kosten ließ! Eine Hand schob sich von hinten zwischen seine Schenkel, begann den steifen Penis unendlich gefühlvoll zu stimulieren.

Nein, bitte nicht Herrin Seiyoua! Das ist zu viel. Ich halte das nicht mehr aus!

Zu viele Eindrücke waren den ganzen Tag über wie die Blitze eines Unwetters auf ihn eingeprasselt: die Plugs, die Sünden, die anhaltende Wollust, die unerträgliche Stille, die quälenden Schläge mit der Gerte, dazu der beißende Schmerz durch Zangen und die Klammern. Und jetzt steckten die Nägel in seinem verletzlichen Anus, dazu die unendlich zärtlich kreisenden Finger an seiner Eichel.

Selig vor Glück schluckte er den Nektar der Latexgöttin. In diesem Moment hatte er das magische Stadium erreicht, erklomm den Gipfel seiner Lust. Ein unmenschlicher Laut, der sich am ehesten als eine Mischung aus Wehklagen und Erlösung deuten ließ, entwich dem Grund seiner Seele. Sein Geist und sein Körper verschmolzen zu einem nicht enden wollenden Orgasmus.

Alles um Samuel herum verschwand in tiefster Dunkelheit. Nie zuvor hatte er sich glücklicher und freier als in diesem Moment gefühlt.